Geschichte des Projekts

Eine kleine Projektgeschichte der plattdeutschen Rechtschreibprüfung

Die Geschichte der plattdeutschen Rechtschreibprüfung geht bis ins Jahr 2003 zurück. Und es waren viele daran beteiligt. In der Welt der freien Software ist vieles möglich, was bei kommerzieller Software nicht geht. Wenn dir etwas nicht gefällt, oder wenn etwas fehlt, und wenn du ein wenig programmieren kannst, dann kannst du das einfach selber machen. Ein plattdeutsches Windows wird es wohl nie geben. Aber eine plattdeutsche Rechtschreibprüfung, die gibt es.

Linux op Platt

Im Jahre 2003 fand ich einen Aufruf im Internet. Der Bremer Informatiker Jürgen Lüters rief dazu auf, Linux, genauer gesagt, den Gnome-Desktop ins Plattdeutsche zu übersetzen. Es gab auch eine kleine Mailingliste zu diesem Projekt. Von Jürgen Lüters habe ich danach nicht mehr viel gehört, aber über diesen Mailverteiler konnte ich zumindest mit ein paar anderen Computerfreaks diskutieren, was wir vielleicht auf die Beine stellen könnten. Ich erinnere mich an einige angeregte Diskussionen über das Vokabular. Vieles davon war sprachliches Neuland. Leider gibt es diese Mailingliste und deren Archiv nicht mehr.

KDE op Platt

Mein Linux hatte nicht Gnome, sondern KDE als Oberfläche. Gnome kannte ich nicht und ich dachte mir, es ist eigentlich auch egal, ob man KDE oder Gnome zuerst übersetzt. Irgendwann legte ich los und fing an, das Übersetzungsminimum zusammenzusammeln, das KDE für eine neue Sprache verlangt. Nach den ersten Schritten fand ich auch einige Mitstreiter. Das war gerade eine Zeit, in der ich ein wenig Zeit für so ein Projekt übrig hatte. Unser erstes Kind war auf der Welt und wollte abends in den Schlaf geschaukelt werden, und so saß Friederike dann so manche Stunde auf meinem Schoß vor dem Computer und genoss es, mit Papa zu kuscheln und mir zuzusehen, was ich da baute, bis sie irgendwann später am Abend endlich eingeschlafen war.

Aspell op Platt

KDE verwendete damals zur Rechtschreibprüfung das Programm aspell (Link zur Projektseite). Im April 2004 bekamen wir Post von Kevin Atkinson, dem Autor von aspell. Er schrieb damals systematisch die Übersetzungsteams von KDE an, für deren Sprache es noch kein Rechtschreibmodul gab und schlug vor, für diese Sprachen so ein Modul zu erstellen.

Das klang nach einer großartigen Idee, denn beim Übersetzen von KDE ins Plattdeutsche zeigten sich schnell die Grenzen der eigenen Fähigkeiten. Wie hieß das noch auf Platt? Habe ich das schon mal nachgesehen, oder habe ich da gerade ein hochdeutsches Wort im Ohr und kenne bloß das plattdeutsche nicht. Und da, wo ich das Wort wusste, war immer noch die Frage, wie man das nun genau schreibt. Eine Benutzeroberfläche von Linux sollte ja ein Mindestmaß an innerer Konsistenz aufweisen.

Das Rückgrat so eines Rechtschreibmodul war immer eine Wortliste. Und falls wir noch keine Wortliste hätten, so hätte Kevin Patrick Scannel (heute Professor an der Universität von Saint Louis) ein Programm, das uns helfen könnte, so eine Wortliste zu erstellen.

Crubadan

Das Programm heißt Crubadan. Scannel hatte das Ziel, für möglichst viele Sprachen, besonders auch für die kleineren, vernachlässigten Sprachen, einen Textkorpus zu sammeln. Das ist eine möglichst umfangreiche Sammlung von Texten in einer Sprache. Man kann damit viele sprachlich spannende Analysen machen, z.B. Wortstatistiken, Berechnungen für automatische Sprachverarbeitung, aber auch Rechtschreibprüfung.

Seine Idee: man sammelt diese Texte nicht selbst, sondern man schickt den Computer suchen. Gefüttert wird Crubadan es mit einer kleinen Liste von Webseiten in der Zielsprache. Crubadan googelt dann davon ausgehend nach weiteren Texten in derselben Sprache und erstellt eine Liste von Webseiten. Diese Liste muss man nur noch kontrollieren.

Auf diese Weise entdeckte ich so manche plattdeutsche Webseite, die ich noch nicht kannte. Unterm Strich waren die Ergebnisse für Plattdeutsch aber nicht zufriedenstellend. Oft waren es Seiten, in denen Plattdeutsch und Hochdeutsch vermischt waren. Hinzu kam, dass die Rechtschreibung all dieser Seiten sehr uneinheitlich war. Die Durchsicht der so erstellten Wortliste erwies sich als zu aufwendig.

Der Crubadan war also interessant, half aber nicht wirklich weiter. Aber er brachte mich auf eine einfache Lösung unseres Problems. Ich dachte mir: Moment mal, wir haben ja schon viele plattdeutsche Texte, mit genau dem Vokabular, das wir immer wieder brauchen und in genau der Rechtschreibung, die wir anstreben: unsere Übersetzung von KDE ins Plattdeutsche.

Gedacht, getan: unsere Dateien enthielten jeweils die englischen Vorlagen (Wörter, Sätze, manchmal auch ganze Absätze), die in KDE angezeigt werden sollten und die plattdeutsche Übersetzung dazu. Das ganze war (anders als die gefundenen sprachlich gemischten Webseiten) maschinenlesbar. Mit ein paar Zeilen Programm ließ sich das Englisch vom Plattdeutschen separieren, wortweise zerlegen, alphabetisch sortieren und nach Häufigkeit durchzählen. Damit hatte ich dann eine Wortliste, die sich noch mit überschaubarem Aufwand durcharbeiten ließ.

An dieser Stelle möchte ich besonders Sönke Dibbern erwähnen, der den größten Teil der Arbeit geleistet hat, diese Liste durchzusehen und der damals auch die Deklination und Konjugation der Wörter programmiert hat. Das ganze bildet noch heute den Grundstock der plattdeutschen Rechtschreibprüfung.

Meine Zeit für Linux op Platt war in der Folgezeit begrenzt. Drei weitere Kinder, auf der Arbeit die Umstellung der Warenwirtschaft auf SAP, ein Ausflug in die Politik und ein Hausbau ließen für Plattdeutsch nur wenig Zeit.

Hunspell

Nur einmal, im Sommer 2008, ging es ein Stück voran. Ich entdeckte, dass die freie Textverarbeitung OpenOffice, einen engen Verwandten von aspell als Rechtschreibprüfung verwendete, und zwar hunspell. Ich baute mir mein aspell-nds so zusammen, dass OpenOffice das lesen konnte und stellte das zum Download zur Verfügung. Problematich daran war, dass man in OO tricksen musste, weil OO die Sprachauswahl Plattdeutsch nicht anbot. Aber immerhin, es funktionierte. Zumindest grundsätzlich.

Auch das blieb dann erst mal lange liegen. Aber es blieb der Traum, das ganze irgendwann noch einmal richtig hübsch zu machen und in der plattdeutschen Welt zu verbreiten.

LibreOffice

Dieses Irgendwann war dann im März 2014 gekommen. Aus OpenOffice war mittlerweile LibreOffice geworden. Und es gab noch ein paar mehr plattdeutsche Sprachenthusiasten, die plattdeutsche Texte rechtschreibprüfen wollten. Jörn Knabbe und Heinz Mügge vom Verein „De Plattdüütschen“ aus dem Landkreis Stade interssierten sich für plattdeutsche Rechtschreibprüfung am PC. Heinz Mügge traf dann auf einer Geburtstagsfeier einen Verwandten von Thorsten Behrens, und dieser Verwandte wusste, dass Thorsten mit LibreOffice zu tun hatte. Thorstens Sohn hatte Plattdeutsch an der Schule in Buxtehude und dafür hätte er gerne eine Rechtschreibprüfung gehabt. Thorsten hat dann mein plattdeutsches hunspell-Modul im Internet gefunden und als Mitarbeiter von LibreOffice konnte er auch den Sprachcode für Niederdeutsch in LibreOffice einbauen. Und dann haben wir gemeinsam beschlossen, das ganze jetzt einmal richtig und offiziell auf die Beine zu stellen. In den folgenden eineinhalb Jahren haben wir dann gemeinsam die Wortliste erweitert und das Modul getestet. Das Institut für Niederdeutsche Sprache hat uns freundlicherweise erlaubt, deren Liste zum Grundwortschatz Niederdeutsch einzuarbeiten. Eine ganze Reihe von Freunden von „den Plattdüütschen“ haben mitgeholfen, die Wortliste des INS durchzusehen, die Deklination und Konjugation der Wörter nachzutragen und die Rechtschreibprüfung zu testen. Ich selbst habe das alles zu einem funktionsfähigen Plugin für LibreOffice zusammengesetzt.

Im Dezember 2015 haben wir dann die erste offizielle Veröffentlichung bekannt gegeben.

Mehr zum Status des Projekts und zur Installation.

PS: nachdem mich mehrere Leute gefragt haben, wie viele Stunden ich selbst an dem Projekt gesessen habe… Wenn ich all die Vorarbeiten mit KDE op Platt und den ersten Versuchen der Rechtschreibprüfung unter Linux aus 2004 mitzähle, dann ist Stunden nicht die richtige Einheit, das zu messen. Selbiges gilt auch für einige andere, die oben aufgelistet sind. Ich selbst halte viel von freier Software. Und freie Software lebt davon, dass jeder das einbringt, was er kann. Und dies alles ist mein Beitrag dazu.

In diesem Sinne: viel Spaß mit der plattdeutschen Rechtschreibung. Ich hoffe, dass Euch das Mut macht, selbst plattdeutsche Texte zu schreiben und zu veröffentlichen. Das könnte dann Euer Beitrag sein.